Bei mir gibt es keine Hausaufgaben* – und das aus gutem Grund. Hausaufgaben sind nicht nur überholt, sondern verschärfen auch die sozioökonomischen Unterschiede zwischen den Schülerinnen und Schülern. Während die einen in ihren Luxuszimmern mit massgeschneiderten Schreibtischen sitzen und von ihren akademischen Eltern bei jedem Schritt unterstützt werden, kämpfen andere in überfüllten, chaotischen Wohnungen um einen Platz am Esstisch zwischen Windeln und Babybrei.
Schauen wir uns doch mal drei «meiner» Jugendlichen an, bei denen ich die Namen mal vorsichtshalber geändert habe:
Marc: Marc, der Glückspilz, bekommt von seinen Eltern den roten Teppich ausgerollt. Eigenes Zimmer, Schreibtisch, gesunde Zwischenmahlzeiten – und als Bonus machen Mama und Papa auch gleich seine Hausaufgaben für ihn. Warum sollte er sich anstrengen, wenn seine Eltern ihm den Weg bis zur Universität ebnen?
Lia: Lia hat andere Prioritäten als stumpfsinnige Hausaufgaben. Zwischen Fussball und Saxofon bleibt wenig Zeit für langweilige Schulaufgaben. Also kritzelt sie schnell etwas hin, nur damit es aussieht, als hätte sie etwas getan. Die eigentliche Arbeit wird ohnehin im Unterricht erledigt – von den Lehrern.
Lisa: Lisa hat keine Zeit für Träumereien von einem gemütlichen Schreibtisch. Sie jongliert zwischen den Bedürfnissen ihrer kleinen Geschwister und dem Druck ihrer Eltern, die arbeiten müssen, um über die Runden zu kommen. Ihre «ruhigen» Arbeitsmomente sind zwischen dem Windelwechseln und dem Kochen von Fertigpizza gefangen. Und dann erwarten wir auch noch, dass sie ihre Hausaufgaben macht?
Wer von den Dreien lernt am meisten? Nun, alle setzen sich zumindest irgendwie mit den Aufgaben auseinander. Aber lassen wir uns nichts vormachen – manche machen sie gar nicht erst. Und ob es tatsächlich zu einem Lernerfolg führt, hängt von so vielen Faktoren ab: der Qualität der Aufgaben, der Menge, der Ausführung und nicht zuletzt vom Alter der Schülerinnen und Schüler. Und: je länger die HA dauern, desto geringer ist der durch die Zusatzzeit erzielbare Lernzuwachs. Die allgemeine Effektstärke von Hausaufgaben liegt gemäss Studien bei 0.29 (geringer Effekt).
Die Lösung? Das «Haus» muss weg, die Aufgaben bleiben. Ganz ohne üben, selbstständige Arbeitsorganisation und Wiederholung funktioniert Lernen nämlich auch nicht. Schulen müssen ihren Schülerinnen und Schülern die Möglichkeit bieten, in angemessenen, unterstützenden Umgebungen zu lernen. Bis dahin sollten wir die verpflichtenden «Haus»aufgaben komplett über Bord werfen!
Und noch etwas: Kinder und Jugendliche haben bereits genug zu tun! Die Schule frisst einen Grossteil ihrer Zeit auf, und was bleibt? 90 % des Tages liegend, sitzend oder in leichter Intensität verbringen – das ist doch lächerlich! Geben wir ihnen Raum, sich zu bewegen, zu entdecken, kreativ zu sein und Faxen zu machen. Hobbies > Hausaufgaben.
*Okay, so ganz stimmt das nicht. Werden wir in einer Stunde nicht fertig oder jemand hat die ganze Lektion nur Quatsch gemacht, dann gibt es Hausaufgaben: 10 Minuten maximal. Oder es gibt einen Rechercheauftrag: Befrage deine Eltern zu einem Thema, nimm einen Gegenstand mit, mache ein Foto. Das kommt durchaus vor. Selten.
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Quellen:
- Cooper, H. M. (2015). The battle over homework: Common ground for administrators, teachers, and parents. Simon and Schuster.
- Hascher, T. & Bischof, F. (2000): Integrierte und traditionelle Hausaufgaben in der Primarschule – ein Vergleich bezüglich Leistung, Belastung und Einstellungen zur Schule. In: Psychologie in Erziehung und Unterricht 4/2000), S. 252 – 265
- Faktenblatt des Dachverbands Lehrerinnen und Lehrer Schweiz (LCH): https://www.lch.ch/fileadmin/user_upload_lch/Orientierung/Faktenblaetter/20230330_Faktenblatt_LCH_Hausaufgaben_neu.pdf
- Hattie, John A.C. (2009): Visible learning: A synthesis of over 800 meta-analyses relating to achievement. London: Routledge.
- Bringolf-Isler, B., Probst-Hensch, N., Kayser, B. und Suggs, S. (2016): Schlussbericht zur SOPHYA-Studie. Basel, Swiss Tropical and Public Health Institute.